reciproque#3.2 // Antonio Pigafetta_Die erste Reise um die Welt

Antonio Pigafettas Chronik der ersten Weltumseglung ist mehr noch als ein einzigartiges Zeitdokument. Zum präzisen Blick auf die verschmelzenden Ereignisse gesellt sich feinsinnige Kritik. Die geschieht durch nüchternes Benennen. Der Handel mit feinster Leinwand, Glasperlenschnüren, vergoldeten Bechern aus Glas geht zunächst auf. Auf allem liegt Frieden. Bis der Missionierungsplan greift. Die Missionierung blickt auf die Kolonialisierung Südostasiens. Das kommt nicht gut an. In der Übersetzung Christian Jostmann liegt Antonio Pigafettas beeindruckender Bericht erstmals in Gänze auf Deutsch vor.

Zunächst lässt die Lektüre überraschend entdecken, der ersten unfreiwilligen Weltumseglung zu folgen. Die fünf Schiffe Magellans hatten den Auftrag für Spanien Gewürze in der noch namenlosen westlichen Masse der Ozeane zu finden. Die östliche Richtung hielt vertraglich Portugal in der Hand. Verschiedene Geschicke treiben die Reisenden weiter.

Wenn aber am Zwieback Würmer nagen, das Wasser faulig ist und den Seeleuten der Vitamin-C-Mangel zunächst die Zähne wegreißt, lautet im 16. Jahrhundert das Todesurteil Skorbut. In den 1082 Tagen von 1519 bis 1522 packt sich das Meer das Gros der Expeditionisten um Kapitän Ferdinand Magellan. Der Entdecker überquerte von Spanien aus den Atlantik und sichtet an der lodernden Südspitze Südamerikas eine Durchfahrt zum Pazifischen Ozean. Ob des phänomenalen Flammenmeeres nennt er diese Feuerland. Der Triumph der ersten historischen Weltumseglung bleibt von Beschwernissen überschattet. Von den fünf Schiffen der Flotte kehrt im September 1522 ein einziges zurück und Pigafetta ist einer von gerade achtzehn Überlebenden.

Derweil begleitete das Element Feuer die gesamte Reise als verheerende Kraft. Seit Jahrhunderten greifen „ökonomische Interessen, politische Machtansprüche“ und Missionssucht ineinander. Wird mit Kanonendonner – wie im heutigen Weltkrieg der Phrasen – der Weg zu den Ressourcen freigemacht. Siedlungen, die den „Glauben der Europäer“ nicht annehmen wollen, brennt Magellan kurzerhand nieder.

Mag Pigafetta mit dieser Aktion der Christianisierung übereinstimmen. An Magellan, den indigene Krieger töten, hält er ehrerbietig fest. Was er sieht, beschreibt er alles explizit. Seitenlang überliefert er Vokabellisten der unbekannten Sprachen. Umgangsformen, Körperschmuck, ihre grundsätzliche Nacktheit, ihre Naturnähe sowie ihre sexuellen Praktiken. Noch zu Mozarts Zeiten war der Blick der Europäer auf ihre eigene Sexualität weniger schamhaft als heute.

Kurz: Es zieht einen mühelos in die „Zeit der occeanischen Entdeckungen“ (Humboldt/Kosmos: 312). Die Gestaltung ist äußerst liebevoll, die Ausstattung wertig. Dies betrifft ebenso die Illustrationen und Karten. Die Einleitung des Übersetzers verschafft einen wertvollen historischen Einstieg. Professoral hieß es einst, was den Textfluss zermahlt, in den Fußnotenwald. Dieser hier dient hier ausgezeichnet der Orientierung. Es lohnt sich, allen Irrungen und Wirrungen der Expedition zu folgen. Alles grenzt an ein Wunder. Dieser Umstand verdient ein gutes Buch. Pigafettas Reise ist obendrein von großer literarischer Schönheit. Versprochen!

Axel Reitel

Antonio Pigafetta Die erste Reise um die Welt (erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann), wbg Edition 2020, 272 Seiten mit 23 farbigen Originalabbildungen, 28 Euro 

reciproque#3.1 // Antonio Pigafetta_Die erste Reise um die Welt

Logbuch des ersten Mannes, der mit dem berühmten Seefahrer Ferdinand Magellan und kaiserlichem Segen die Welt umsegelte und das ganze Abenteuer eindrucksvoll zu Papier zu bringen wusste: Pigafettas authentische Bildsprache lehrt uns heute nicht nur, wie man Bericht erstattet, ohne dass die Leser reihenweise abspringen, sondern auch, wie rau und beseelt sie war, unsere Welt. Vor mehr als 500 Jahren

Da geht es um Naturgewalten, Meuterei und Königinnen, um haaresträubende Tauschgeschäfte und kannibalische Bräuchen. Es ist ein merkwürdig sachlicher Erfahrungsbericht über eigentlich emotional tiefschürfende Eindrücke: Sklavenhandel mit den Töchtern eines Stammes, echte Riesen und unbekannte eindrucksvolle Tierarten finden ebenso ihren Platz in der Aufzählung der Ereignisse wie der dem aufgeklärten Abendland amüsant erscheinende Aberglaube der Urvölker, denen die Mannschaft auf ihrer Reise begegnet. Die überleben am Ende nur 18 Mann und Antonia Pigafetta ist – glücklicherweise – einer davon.
Im Spätsommer 1522 schifft die Victoria in Sevilla ein, etwa zwei Jahre später schließt Pigafetta seine Aufzeichnungen ab und liefert damit bis ins beginnende 19. Jahrhundert allerlei Anlasse für Spekulation und Arbeit an der Geschichte: Es kursieren bis dato etliche Kopien seiner Manuskripte, die Urversion wird erst 1800 gefunden und zum Ausgangspunkt diverser Ausgaben. Erst der Historiker Christian Jostmann liefert uns knapp 500 Jahre später mit dieser Version eine vollständige deutsche Übersetzung des historischen Abenteuerberichts. Dass er damit einen wichtigen Diskursbeitrag geleistet hat, liegt auf der Hand: Immerhin war es Pigafettas Reisetagebuch, das die Idee der Erde als Scheibe ins Wanken brachte. Und auch, dass im Jahr 1492 Indien entdeckt worden sei, zog er mit seinen Schilderungen beim aufmerksamen Leser in Zweifel. Nicht jedoch, ohne dabei ein eindrucksvolles Bild der Welt zu zeichnen, wie sie außerhalb der Komfortzone ist: wild, bunt, brutal, wunderschön und unbegreiflich weit.

Jenny V. Wirschky

Antonio Pigafetta Die erste Reise um die Welt (erstmals vollständig übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann), wbg Edition 2020, 272 Seiten mit 23 farbigen Originalabbildungen, 28 Euro